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31. Jul, 2017
Am 15. März 2017 bekam ich über die Vermittlungsplattform von BMS (Bosch Management Service, intern auch «Mumien»-Service) die Anfrage ob ich bereit sei, das Entwicklungszentrum in Budapest im Bereich Projektleitung für 200 Tage zu unterstützen. Nachdem ich signalisierte, dass ich für eine kürzere Zeit zur Verfügung stehe, einigten wir uns am 22. März auf einen 4-monatigen Einsatz. Schon am 28. März flog ich für 4 Monate nach Budapest und bezog nahe der Donau ein modernes 3-Zimmer-Studio. Unser privates Jahresprogramm sah somit auf einmal anders aus. So reiste ich also aus Ungarn zu den schon vorher fixierten Events, Geburtstagfeiern, Schweizerreise mit amerikanischen Freunden, Wochenende im Eigenthal, wenigen Homeleave-Wochenenden in Cesme inklusiv theoretischer Fahrprüfung in der Türkei. Helen musste die kurz davor beschlossenen Verbesserungen an Haus und Garten alleine überwachen, was ja nichts Neues ist und sie professionell erledigte, zudem all die Aktivitäten nach dem Einbruch ins Haus von Anfang April.
Was reizte mich an diesem Einsatz?
Es kamen aber noch zusätzliche Erfahrungen dazu. In meiner vorausgeschickten Liste, was sie für mich vorbereiten sollen, war auch ein Cellphone. Es lag eines bereit, aber ich brauchte es in den vier Monaten kaum. Ich kam in eine neue Arbeitswelt ohne Papier, ohne Telefon und wenig Face to face Kommunikation. Mein Arbeitsplatz war ein Tisch, ein Laptop mit Dockingstation, zwei 24 Zollbildschirme, ein Kopfhörer und Mikrofonset und dahinter viele Softwarepakete. Meine Arbeits-Software war im wesentlichen «Professional Skype», das gesamte «Windows Officepaket» mit Firmentemplates, Microsoft Projects. Weitere Pakete wie SAP und technische Datenverwaltungen habe ich nur als Informationsquellen benutzt. Ich habe mich nicht in die Transaktionen eingearbeitet. Die Standardisierungen, Verknüpfungen und Berechtigungsregelungen sind komplex.
Viele Transaktionen benötigen viele elektronische Unterschriften, und sobald jemand ablehnt beginnt der Ablauf neu, oft über viele Zeitzonen. Insbesondere in kritischen turbulenten Projektphasen geht oft viel wertvolle Zeit verloren. Ich war noch gewohnt, dass ich als Leiter eines Auslandstandortes fast alle operativen Entscheidungen zusammen mit den Mitarbeitern vor Ort treffen konnte. Nicht so in diesem Fall.
Das System sichert, dass jeder Entscheid von unterschiedlichen Richtungen angeschaut und beurteilt wird, und es verkraftet auch noch wenig erfahrene Leute. Deren Fehlbeurteilungen werden meistens von jemandem in der Entscheidungskette erkannt.
Ich erlebte auch frustrierende Prozesse. In einem Falle habe ich abgeschätzt, dass nachdem man sich einig war, was man wollte, Mitarbeiter zusammen noch 50 bis 70 Stunden beschäftigt waren, die richtigen Formulierungen und Inputs in den diversen Systemen zu erarbeiten, abzustimmen und zu genehmigen.
Jeder Tag war eine Weltreise, denn wir hatten tägliche und wöchentliche Skype Meetings mit verschieden Kundenwerken in China, Deutschland, Spanien, Brasilien, den vier eigenen beteiligten Entwicklungszentren in Ungarn, Deutschland und China, den Schlüsselzulieferanten in Japan, China, Ungarn, Italien, Deutschland, USA, Mexico, und den eigenen Produktionsstandorten in China, Rumänien, Deutschland und Mexico. Am Morgen lag der Fokus in Asien, mitten des Arbeitstages in Europa, am späten Nachmittag in Mexico und Brasilien, und danach folgte oft noch eine Zusammenfassung mit dem Management.
Gute Ergebnisse und Lösungen sehr schnell über alle Kulturen und Zeitzonen zu erreichen war immer eine Herausforderung. Ich hatte das Gefühl, dass die Arbeitsweise eines Projektleiters sich stark dem eines Börsenhändlers angenähert hat.
Der Airbag Controller
Es steckt viel in der kleinen schwarzen Box, die irgendwo unter den zwei Vordersitzen fest mit dem Rahmen verschraubt ist, mit der ich jetzt zu tun hatte.
Als ich nach Budapest ging, hatte ich keine Vorstellung, was die Aufgabe des Airbag Controllers ist. Ich dachte, dass er die verschiedenen Airbags auslöst. Die Aufgaben und Fähigkeiten sind aber heute viel umfangreicher. Schon an die Box selber gibt es viele Anforderungen. Sie muss so ausgelegt sein, dass die Elektronik trotz allen Belastungen während der ganzen Autolebensdauer immer perfekt funktioniert (Temperaturschwankungen, Schocks, Feuchtigkeit, Kontakte, Korrosion, …).
Die Elektronik Hardware besteht zur Hauptsache aus 2 bis 3 leistungsstarken Mikrorechner, 3 sensiblen Beschleunigungssensoren in allen Richtungen, einer kurzfristigen Notstromversorgung.
Diese kommuniziert dauernd mit den inzwischen vielen Sensoren wie Radarsensoren, Kameras im und ums Auto. Bald werden auch mit Fahrzeugen in der näheren Umgebung Daten ausgetauscht.
Während der normalen Fahrt ist der Controller immer über die allgemeine Situation informiert, er weiss wo wer sitzt und wie schwer die Person in etwa wiegt, er analysiert aufgrund der vielen Daten, ob eine Crashgefahr besteht. Wenn sich eine Kollision abzeichnet, versucht er noch durch Eingriffe (Notbremsung auslösen, Lenkkorrekturen,..) die Situation zu retten. Wenn der Zusammenstoss unvermeidbar ist, werden die Schutzmassnahmen aktiviert, Gurten angezogen, wenn vorhanden Überrollbügel ausgefahren, die vielen Airbags in einer bestmöglichen Reihenfolge gezündet und aufgeblasen. Anschliessend erfolgen Sicherungsmassnahmen wie Türschlösser entsichern, Motor abstellen, Benzinleitungen schliessen, Strom abschalten, etc., um einen Fahrzeugbrand zu vermeiden und die Rettungszugänge zu ermöglichen.
Die Vorbereitungsprozesse laufen in 1 bis 2 Sekunden ab, der Rest dann im Milli- bzw. Mikrosekundenbereich.
Bis zum fahrerlosen Fahren wird es noch wenige Jahre gehen, aber nach meinem Einblick in den aktuellen Stand und die geplanten Erweiterungen in den nächsten 2 bis 3 Jahren in nur einem kleinen Baustein, der benötigt wird, ist der technische Stand weit fortgeschritten. Die immer komplexere Software muss natürlich noch intensive verifiziert und überprüft werden.
Ungeklärte Fragen sind die rechtlichen und die moralischen. Wer ist schuld bei einem Unfall, der Fahrer oder der Fahrzeughersteller? Wenn nicht alle am Unfall beteiligten Personen gleich geschützt werden können, wie soll sich der Rechner entscheiden? Heute entscheidet sich der Fahrer in der Panik für eine Option. Dem System Auto stehen mehr Information zur Verfügung, und es hat und mehrere Lösungsoptionen.
Nun aber genug der Technik - ich hoffe, dass es einige interessiert hat, denn diese Themen erreichen langsam die Allgemeinheit und die Tagespresse.
Budapest
Budapest ist heute fast eine 2 Millionenstadt an der blauen, aber doch eher grauen Donau. Budapest gibt es erst seit 1873. Davor war Buda (eigentlich „Ofen“) auf der hügeligen Westseite der Donau und Pest eine Stadt im flachen Osten der Donau.
Es liegen immer viele sehr lange Kreuzfahrtschiffe (Im Vergleich mit dem Rhein) entlang der beiden Donauufer. Budapest ist eine Touristenstadt mit vielen Zielgruppen.
- Viele historische Gebäude sind Anknüpfungspunkte für die Geschichtsinteressierten. Die Bausubstanz erinnert an die frühere Bedeutung der Stadt. Vieles wurde in den letzten Jahren restauriert, viele Gebäude warten noch darauf.
- Budapest ist eine Partystadt. Viele Burschengruppen und Girl Groups aus ganz Europa erreichen Budapest auf ihren «Polterreisen». Bier und Wein strömt aus Fässern und Flaschen.
- Auch heute ist Budapest noch eine Bäderstadt mit mehreren Thermalbädern.
Die internationale Industrie ist erst am Kommen. Nach der Frage des Taxifahrers, warum ich komme, und ich sagte eine Firma zu unterstützen, kam sofort die Frage Bosch oder Siemens? Aber der Donau entlang entstehen viele neue glasige Bürogebäude mit Firmenschildern der globalen renommierten Dienstleister.
Geschichtlich war Budapest immer umstritten zwischen Mächten von Westeuropa (Österreich), Osteuropa (Russland, Sowjetunion) und dem Osmanischen Reich und wechselte mehrmals die Zugehörigkeit. Während der Völkerwanderung zwischen 500 und 100 n. Chr. zogen viele Volkstämme durch die Ebene, die das heutige ungarische Stammland war. Gegen Ende des 1. Jahrtausend setzten sich die Magyaren fest, und ihr erster im Jahre 1001 zum König gekrönter Führer war Istvan/Stephan der I.
Im 16. und 17. Jahrhundert waren die Magyaren eine Provinz des Osmanischen Reiches und nach Osten ausgerichtet.
Danach kamen sie unter Österreichische Kontrolle und bildeten später das Österreichisch-Ungarische Kaiser- und Königreich. Der König musste mindestens drei Monate im Jahr seinen Sitz in Budapest haben. Die Völker des östlichen Balkans wurden dem ungarischen Königsreich zugeordnet.
Nach dem 1. Weltkrieg wurde dann das Doppelkönigsreich in mehrere Staaten in Mittel- und Südeuropa aufgeteilt. Nach dem 2. Weltkrieg gehörte Ungarn für 45 Jahre zum Einflussbereich der Sowjetunion.
In der heutigen Kultur spürt man den abendländischen, aber auch den orientalischen Einfluss. Ungarn liegt also nicht nur geografisch etwa auf halbem Weg zwischen der Schweiz und Istanbul. Unter diesem Gesichtspunkt muss man auch die Politik von Ungarn und weiteren Mitteleuropäischen und Balkanstaaten verstehen. Ich besuchte auch den ehemaligen Königssitz Visegrad am Donauknie 30 km nördlich von Budapest. Nach dieser Stadt und deren Burg ist die heutige Visegradgruppe V4 (Ungarn, Polen, Slowakei und Tschechien) benannt. Diese will die Interessen von Mitteleuropa in der EU (nicht zur Freude der westlichen Länder) koordiniert vertreten, zum Beispiel den Ausbau der Nord-Süd-Achsen von der Ostsee ans Schwarze Meer und an die Adria.
Fazit
Mit meinen langjährigen Erfahrungen hat die moderne Bosch-Kultur nicht viel gemeinsam. Der Einblick war spannend, doch begeistern kann ich mich nicht dafür.
Das im März angefangene Buch Südosteuropa «Weltgeschichte einer Region» von Marie-Janine Calic weiter lese ich jetzt mit anderen Augen fertig.
Ich kann auch heute noch ohne den Mittagsschlaf leben, denn jeweils 5 Arbeitstage mit 10 bis 12 Arbeitsstunden waren keine besondere Belastung. Dabei hilft natürlich, dass man weiss, in wenigen Wochen der Einsatz vorbei, man könnte relativ leicht aussteigen, und man ist nicht für ein operatives oder finanzielles Schlussergebnis verantwortlich.
Neueste Kommentare
20.05 | 16:23
Besser habe ich noch keine der vielen Erklärungen zur Blockchain Technologie und den Kryptowährungen berstanden als die obige! Vielen Dank - Ruedi
16.12 | 11:03
Lieber Bernhard - Hab Dank für diesen sehr Informativen Erfahrungsbericht! Vieles was Du beschreibst, deckt sich mit meiner eigenen Berufserfahrungen. Im In- sowie vor allem auch im fernen Ausland!
03.10 | 09:36
Super die Bilder und die Berichte. Wir verfolgen eure Reise mit Interesse. Einige Orte sind mir noch in bester Erinnerung.
Liebe Grüsse
Toni und Erika
02.10 | 08:00
Hallo zusammen. Wir lesen euren Blog mit viel Interesse da wir all die Orte auf unseren 4 Costa Rica 🇨🇷 Reisen kennengelernt haben. Ein wunderschönes Land mit prächtiger Natur. Gute Weiterreise. Lisbet