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Seit sechs Jahren leben wir in der Türkei, in Cesme, in Westanatolien. Anatolien ist der grosse asiatische Teil der heutigen Türkei und entspricht 97 % der Landesfläche. Der kleine europäische Teil ist die Region Ostthrakien. Der westliche und mittlere Teil von Anatolien, also das Gebiet bis zum Fluss Euphrat, ist auch unter den Begriffen Vorderasien oder Kleinasien bekannt. Einer der Gründe, dass wir in die Türkei gezogen sind, ist die Geschichte dieser Region, liegt doch hier einer der Ursprünge der Weltgeschichte – hier ist die Heimat des sesshaften Homo Sapiens. Ich möchte aus der Sicht des geographischen Begriffs «Anatolien» in diesem Artikel im Schnellzug, durch 12'000 Jahre Weltgeschichte führen.
Eine Wiege der Menschheit
Die Kulturgeschichte der Menschheit beginnt in Südost-Anatolien, im Quellgebiet von Euphrat und Tigris in Anatolien, und im eigentlichen Zweistromland im heutigen Irak und Syrien. Hier wurden nach heutigem Wissensstand die ersten festen Siedlungen der Menschheit gebaut und Organisationsstrukturen eingeführt, die über ein Dorf hinausgingen.
Göbekli Tepe im Südosten der Türkei, bei Sanliurfa, gilt heute als älteste bekannte Kultstätte der Welt. Sie wurde 10'000 bis 8'000 vor Christus gebaut und für kulturelle Zwecke genutzt, war aber kein permanenter Wohnort für Menschen. Im Vergleich dazu wurde Stonehenge in England viel später, 3'000 v. Chr., errichtet.
Auch der Ursprung der drei Weltreligionen, Judentum, Christentum und Islam, die sich auf die Genesis stützen, soll in dieser Region liegen. Es gibt Studien, die den Garten Eden bzw. das Paradies im Quellgebiet der vier Flüsse Ost-Anatoliens (Euphrat, Tigris, Aras, Kura) in der Nähe des Van-Sees vermuten. Es gibt auch die Theorie, dass die Arche Noah am Berg Ararat ganz im Osten der Türkei, an der Grenze zu Armenien, gestrandet ist. Das Alte Testament lässt jedoch unterschiedliche Interpretationen zu, und definitive Antworten wird man wohl kaum finden.
Mehr reale Fakten gibt es zu Catalhöyük, einer Siedlung in der Nähe von Konya, die in den Jahren 7'500 bis 5'500 v. Chr. bewohnt war. Je nach angewandten Kriterien, die für eine Stadt notwendig sind, bezeichnet sie sich als die älteste Stadt der Welt. Konkurrenten in diesem Wettbewerb sind jedoch Jericho in Palästina, Eridu in Nordirak, Khamsbat in der indischen Provinz Gujarat.
Einige Geschichten gehören noch ins mystische, andere sind durch archäologische Ausgrabungen belegt. In jedem Fall begann in dieser Gegend ein neues Kapitel der Menschheitsgeschichte, der Aufstieg des Homo Sapiens.
Um 3'000 v. Chr. bildeten sich aus den ersten Stadtsiedlungen die ersten grösseren politischen Einheiten. Im ganzen Zweistromland bildeten sich Stadtstaaten und Fürstentümer - Ur, Uruk, Elam, Ebla, Karkamis und einige mehr. Die Menschen begannen mit der Arbeitsteilung und übten mehr und mehr spezialisierte Arbeiten und Funktionen aus (Bauer, Töpfer, Maurer, Soldat, Fürst, Hohepriester, …).
Ein Kommen und Gehen der Völker
Die Grösse dieser politischen Einheiten rund um das östliche Mittelmeergebiet wuchsen, und es entstanden 2'500 bis 2'000 v. Chr. drei sich dauernd verändernde und bekämpfende grosse Reiche:
Dazwischen und darum herum lagen kleinere Fürstentümer/Stämme, die meistens tributpflichtig zu einem der grossen waren. Über die Jahrhunderte verschoben sich die Grenzen aufgrund von Siegen und Niederlagen immer wieder. Der Südwesten von Anatolien kam gegen Ende jener Zeit in den Einflussbereich der mykenischen Kultur. Die Levante, der Vordere Orient, war dazumal schon immer das umstrittenste Gebiet, denn dort trafen die drei grossen Reiche zusammen. Diese Dreier- Konstellation hatte bis ca. 1'100 v. Chr. Bestand.
Danach folge die Zeit, die als die «dunkle Zeit» in die Geschichte einging. Was damals im Vorderen Orient und Armenien geschah ist historisch unklar. Von einigen Städten weiss man schlagartig nichts mehr. Es gab verschiedene Völkerwanderungen in der Gegend. Bedeutende «Seevölker» tauchten auf, aber woher sie kamen weiss man noch nicht, irgendwoher über das Mittelmeer und durch Anatolien aus dem Raum des heutigen Balkans, sind die Vermutungen. Auf jeden Fall brachen Kulturen in der Levante überraschend zusammen.
Zum Beginn des letzten Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung begannen sich neue Strukturen abzuzeichnen. Die Phönizier am östlichen Ende des Mittelmeers, die als Seefahrer im ganzen Mittelmeerraum Kolonien gründeten, die Luvier und Aramäer an der Südküste von Anatolien, die griechischen Stämme (Ionier, Dorier, Aioleiser) an der anatolischen Westküste, wo wir heute leben, und die Lydier unweit unserer heutigen Heimat in Westanatolien. Der reiche Krösus war der letzte ihrer Könige - er interpretierte einen Spruch des Orakels von Delphi falsch und verlor die Schlacht gegen die Perser. Am nördlichen Ende des griechischen Einflussgebietes lag die sagenumwobene Stadt Troja mit der schönen Helena. In Zentral-Anatolien lebten zu dieser Zeit die Phrygiener, die dann in das Reich der Mitas übergingen, mit Midas als ihrem bekanntesten Führer.
Die Antike
Als eine lokale Macht entstand auf beiden Seiten der Ägäis die grosse neue Kultur der Griechen. Der Höhepunkt des antiken Griechenlands war zwischen 600 und 400 vor Chr. Auf der anatolischen Seite zählten Smyrna, Ephesus, Milet, zu den berühmten griechischen Städte. Einige der grossen griechischen Philosophen und Wissenschaftler (Thales, Pythagoras, Heraklit, Hippokrates, …) stammen aus dieser Gegend. Das heutige Weingut «die sieben Weisen» liegt in der Nähe von Ephesus und bietet gutes Essen und Wein.
550 bis 400 vor unserer Zeitrechnung veränderte sich die Machtverteilung im Osten. Die Achämeniden, ein Perservolk, eroberten aus dem Gebiet des heutigen Iran fast ganz Anatolien, den östlichen Teil des Balkans im Westen, im Osten das Indus-Tal in Indien und im Süden das Nil-Tal in Ägypten. Nur Griechenland wehrte sich erfolgreich gegen den Vorstoss nach Westen in der Landschlacht bei Marathon (490 v. Chr.), und in der Seeschlacht bei Salamis vor Athen (480 V. Chr.) schlugen sie die Perser.
Die Perserkriege waren prägende Ereignisse im antiken Griechenland, genauso wie die Auseinandersetzungen zwischen Athen und Sparta im peloponnesischen Krieg. In der Geschichte der Perser hingegen gelten sie lediglich als eine Schlacht unter vielen und waren nicht von strategischer Bedeutung.
Der nächste Umschwung im Kampf zwischen dem Orient und dem Okzident kam mit Alexander dem Grossen, der 336 – 323 vor unserer Zeitrechnung von Mazedonien aus zuerst die Griechen und dann die Achämeniden (Perser) überrannte und bis an die östliche Grenze Persiens vorstiess, also ins Indus-Tal und ins heutige Zentralasien. Er starb noch auf dem dreijährigen Feldzug. Sein Reich zerfiel in viele Königreiche unter dem Sammelbegriff «Diadochenreich». In Anatolien entstanden die Königreiche Pergamon, Kappadokien, Pontos, Bithynien und Armenia. Die Machtstrukturen waren schwach, und es flackerten überall lokale Aufstände auf. Doch im ganzen Bereich breitete sich eine hellenische Kultur aus, ausgehend von Griechenland und verbreitet durch den Vorstoss von Alexander.
Politisch gehörte in der hellenischen Zeit Westanatolien zum römischen Reich, der Osten kam in den Einflussbereich der Parther (Perser), und der Südosten wurde von den Seleukiden beherrscht.
Die Römer und das Christentum
Im Laufe der nächsten 200 Jahre stiessen die Römer immer weiter nach Osten vor und kontrollierten ab zirka 100 v. Chr. Westanatolien und schlussendlich ab 59 Jahre v. Chr. den ganzen Vorderen Orient, das obere Euphrat- und Tigris-Tal sowie Ägypten. Von Beginn der neuen Zeitrechnung bis 200 n. Chr. blieb die Grenze zwischen dem römischen und dem Parther-Reich in etwa konstant. Auch aus der Bibel wissen wir, dass zu jener Zeit die Römer in Palästina waren. 200 n. Chr. übernahmen die Sassaniden im Osten die Macht. Schritt für Schritt wurden die Römer aus Mesopotamien und Ost-Anatolien zurückgedrängt. Das hinderte aber die junge Christenheit nicht, auch im Osten erfolgreich zu missionieren.
In Anatolien breitete sich ab dem 1. Jahrhundert n. Chr., wie im ganzen römischen Reich, das Christentum aus, nachdem der Apostel Paulus drei Mal als Missionar durch Anatolien gereist war. Der Epheserbrief erinnert heute noch an ihn. Am Konzil von Ephesos 431 und von Chalkedon 451 spaltete sich die christliche Kirche erstmals, die alt-orientalischen Kirchen (armenische-, koptische- und assyrische Kirche) trennten sich ab. Im Jahre 1054 kam es zu einer weiteren Spaltung zwischen der orthodoxen Ostkirche und der römischen Kirche. Für Anatolien war von nun der Bischof von Konstantinopel (heute Istanbul) das zuständig Kirchenoberhaupt.
Schon davor verfällt im Jahre 395 das römische Reich in ein West- und Ost-Reich (das byzantinische Reich). Das Westreich geht in der Völkerwanderung im 5. Jahrhundert endgültig unter. Nach 476 existierte das römische Kaiserreich nicht mehr, es gibt keinen Kaiser mehr. In Anatolien und im Vorderen Orient blühen die orthodoxen Kirchen auf.
Die Araber und der Islam
Die nächste Gefahr droht wieder von Osten. 622 n. Chr. (Jahr 0 der islamischen Zeitrechnung - ein islamisches Jahr hat 354 Tage) gründet Mohamed auf der Sinai Halbinsel die islamische Religion, aufbauend auf dem Juden- und Christentum. Schon 636 n. Chr. schlagen die Muslime die Byzantiner in Syrien und das persische Sassanidenreich. Palästina kommt unter islamische Verwaltung, und das byzantinische Reich gerät in die Defensive an seinem Ostrand. Im Jahre 1071 schlagen die muslimischen Seldschuken die Byzantiner bei Manzikert in Ostanatolien. Anschliessend übernehmen sie auch Zentralanatolien, das Sultanat Rum entsteht. Die Christen in Zentralasien unter der Seldschuken-Verwaltung werden teilweise verfolgt und verlegen ihre Wohnhäuser, Kirchen und öffentlichen Räume in den Untergrund. Heute kann man diese Behausungen in Kappadokien als Tourist besuchen und mit einem Heissluftballon über die bizarre Landschaft mit kegelförmigen Steintürmen fliegen. Die Muslime aber konzentriertn vorerst ihre weiteren Eroberungen auf Nordafrika und Spanien im Westen, Indien im Osten und Zentralasien im Nordosten. Byzanz kann sich vorläufig in Westanatolien und im Süden halten. Ab dem 11. Jahrhundert beginnt sich ein neues Volk in Anatolien einzunisten: Von Zentralasien wandern immer mehr turkmenische Nomadenstämme nach Anatolien ein. Die Seldschuken sind sesshaft und betreiben Landwirtschaft in den fruchtbaren Ebenen, die einwandernden islamischen Turkmenen ziehen mit ihren Herden durch das karge Hochland Anatoliens.
Die Kreuzzüge
Im Jahre 1095 ruft Papst Urban II die europäischen Fürsten auf, die heiligen Städten in Palästina für die Christen zurückzuerobern; die 200-jährige Zeit der Kreuzzüge beginnt. Das byzantinische Reich beteiligt sich nicht daran, muss aber den christlichen Heeren die Durchreise gewähren. Die Kreuzritter benutzen Anatolien bei ihrem Durchzug als Selbstbedienungsladen. Ein Kreuzritterheer erobert sogar Konstantinopel, zieht nicht weiter und lässt es sich dort gut gehen. Die von den Kreuzrittern geschaffene Grafschaft Edessa und das Fürstentum Antiochia liegen teilweise im Gebiet der heutigen Südost-Türkei und werden den Byzantinern weggenommen. 1291 fällt Akron, die letzte Kreuzritter-Festung in der Levante. Die Seldschuken haben gewonnen, die Zeit der Kreuzzüge ist zu Ende und Anatolien von durchziehenden Kreuzrittern befreit. Dem Johanniterorden bleibt noch bis 1522 die Festung Rhodos als Stützpunkt im Osten. Seit dann ist Malta ihr Stützpunkt.
Das Osmanische Reich
Im 11. und 12. Jahrhundert wandern noch mehr Turkvölker von Zentralasien nach Anatolien ein. Einer dieser Fürsten, der 1281 geborene Osman I, übernimmt die Führung von mehreren Stämmen, und beginnt die Dynastie der Osmanen für die nächsten Jahrhunderte aufzubauen. 1326 stösst er schon bis zum Marmarameer vor. Sein Sohn stösst in den Balkan vor und erobert Land um Land. Byzanz reduziert sich auf Konstantinopel und Thessaloniki (Saloniki) mit dem jeweiligen Umland. Durch Unterstützung von Venedig, Genua und dem Vatikan kann sich das Konstantinopel bis 1453 als Enklave halten, fällt dann als letzter christlicher Stützpunkt in der heutigen Türkei an die Osmanen.
Im Jahre 1400 kämpfen die Osmanen gegen den Mongolen Khan Timur, den Sohn von Dschingis Khan, der von Zentralasien kommend brutal im ganzen Nahen Osten wütet. Die Osmanen verlieren die Schlacht bei Ankara, haben aber Glück - Timurs Truppen werden dringend in China gebraucht und ziehen ab. Timur stirbt dann auf dem Weg in den Osten.
Die Osmanen gehören dem Islam an, sind aber tolerant gegenüber den anderen monotheistischen Religionen, also dem Juden- und Christentum. Die Osmanen lassen den Juden und Christen Raum für eine gewisse Selbstverwaltung. Sie müssen aber wie im ganzen islamischen Bereich eine besondere Kopfsteuer bezahlen. Die Moslems müssen dagegen eine Armensteuer (Zhahat als 4. Säule des Islams) bezahlen. Erst im 19. Jahrhundert wird schliesslich noch ein konfessionsunabhängiges Steuersystem eingeführt.
Das osmanische Reich wächst zu einem Riesen-Reich, siehe die grösste Ausdehnung in der nächsten Grafik.
Das Reich kontrolliert den gesamten Handel zwischen Europa, Asien und Afrika und sieht sich als Beschützer der heiligen Stätten des Islams - Mekka, Medina und Jerusalem. Nach der Entdeckung Amerikas und der starken Verlagerung des Handels aufs Meer verlieren die Osmanen ihre zentrale und kontrollierende Stellung im 17. Jahrhundert. Durch schwache Sultane beginnt das Reich an den Rändern zu bröckeln. Die erste industrielle Revolution in England und Westeuropa bringt im osmanischen Reich die noch mittelalterliche Industrie und Wirtschaft in Bedrängnis. Der Sultan versucht zu spät und zögerlich, sich an der industriellen Entwicklung zu beteiligen. Frankreich ist in dieser Phase der Hauptpartner. Viele technische Begriffe im Türkischen sind vom Französischen abgeleitet. 1830 stehen die Griechen gegen die Osmanen auf und werden das erste unabhängige Königreich auf dem Balkan.
Der 1. Weltkrieg
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts versucht die Gruppierung der Jungtürken die durch den Hof zaghaft eingeleiteten und wieder blockierten politischen und wirtschaftlichen Erneuerungen zu beschleunigen. Engere Verbindungen mit dem deutschen Kaiserreich werden angestrebt. Nach Ausbruch des 1. Weltkrieges versucht das osmanische Reich zuerst neutral zu bleiben. Nach dem Versuch der Engländer und Franzosen, durch die Dardanellen und den Bosporus sich mit dem russischen Zaren kurzzuschliessen, verbündet sich das osmanische Reich, unter Druck der Jungtürken, mit dem deutschen Reich. In einer 8-monatigen blutigen Schlacht verhinder die osmanische Armee unter Leitung von General Mustafa Kemal (Atatürk) die Durchfahrt der Engländer und Franzosen durch die Dardanellen. Zirka 1 Million Soldaten fallen oder werden verletzt. Auf britischer Seite kämpfen hauptsächlich Kolonialtruppen aus Australien und Neuseeland (ANZAC Truppen), wie die grossen Soldatenfriedhöfe noch heute zeigen. Im Osten im Kaukasusgebiet greifen die Russen das osmanische Reich an. Einige armenische Einheiten der osmanischen Armee wechseln zu den Russen. Dies führt dazu, dass die Armenier aus der Armee und der Verwaltung ausgeschlossen werden und schlussendlich das ganze Volk nach dem heutigen Syrien vertrieben wird. Hunderttausende überleben die Säuberungen und die Vertreibung nicht.
Nach dem 1. Weltkrieg zerfällt das osmanische Reich. Der Rest des osmanischen Reiches wird unter die Siegermächte aufgeteilt (Friedensvertrag von Sèvres). Teile Anatoliens gehen an die Franzosen, Engländer, Italiener und Griechen. Im Osten bildet sich ein grosser Staat Armenien und ein Protektorat für die Kurden. Der Sultan kann in seinem Palast in Istanbul bleiben, verliert aber seine politische Bedeutung. Von der Schwarzmeerküste und um Ankara bleibt ein kleiner Rest osmanisches Reich. Kemal Atatürk anerkennt den Vertrag nicht und kämpft weiter. Die Griechen versuchen ihren Anteil auszuweiten und stossen Richtung Ankara vor. Mustafa Kemal (Atatürk) schlägt zuerst im Osten die Armenier und anschliessend die Griechen, die schon vor Ankara stehen. Er treibt sie bis an die Ägäis- Küste zurück. Im Vertrag von Lausanne wird am 24. Juli 1923 die Türkei in den heutigen Grenzen festgelegt. Davor wird am 1.11.1922 das Sultanat abgeschafft. Am 29.10.2023 wird die türkische Republik ausgerufen.
Die türkische Republik
1922 erfolgt ein grosser Bevölkerungsaustausch zwischen Anatolien und dem Balkan. 1,5 Mio. Griechen müssen innert Tagen Anatolien, 0,4 Mio. Türken Griechenland verlassen. Schon einige Jahre davor mussten Hunderttausende Türken aus anderen Balkanländern in den Osten umsiedeln. Nach den Umsiedlungs- und Vertreibungsaktionen leben in der neuen türkischen Republik im Wesentlichen noch türkisch- und kurdisch-stämmige Völker. Zirka 98 % der Bevölkerung bekennen sich zum Islam, der grösste Teil zur sunnitischen, andere auch zur alevitischen Lehre. Nachdem man vor 100 Jahren mit viel Aufwand und Blut die Religionen in der Region entflochten hat, verstehe ich nicht, warum es wieder Missionare gibt, die das ändern wollen.
Mustafa Kemal wird erster Präsident der Republik Türkei und nennt sich von nun an Kemal Atatürk (Kemal Vater der Türken). Atatürk beschliesst, die Türkei von einem orientalischen Staat in einen westlichen säkularen umzuformen. Er trennt Kirche und Staat, ersetzt die arabischen Schriftzeichen durch unser lateinisches Alphabet, verbietet die traditionelle Kleidung und verlangt westliche Kleider, verbietet das Kopftuch, schafft den Ruf des Muezzins ab etc... Offiziell ist die Türkei eine Republik mit einem Parlament. Atatürk führt aber diktatorisch und sagt, das Parlament mit seiner Einheitspartei sei noch unerfahren und sei noch im Training. Das bleibt auch noch unter seinem Nachfolger Inönü bis 1950 so.
Die Armee hat eine Sonderrolle im Staat, sie ist die Hüterin der Verfassung und steht ausserhalb der Regierung. Sie ist nur dem Staatspräsidenten verantwortlich. Atatürk hat sie zur Hüterin des säkularen Staates bestimmt. Dies hat über 80 Jahre lang gut funktioniert. Immer wenn das Land sich wieder dem Islam und dessen traditionellen Werten nähert, greift die Armee ein. 1960, 1971, 1980 und 1997 wird jeweils die gewählte Regierung von der Armee gestürzt. Zum Staatspräsidenten wird bis 2007, mit wenigen kurzen Ausnahmen, ein hoher Armeeoffizier gewählt. Nur der Ministerpräsident kommt aus einer politischen Laufbahn.
1960 stürzt die Armee die gewählte Regierung von Ministerpräsident Adnan Menderes. Dieser und zwei weitere Minister werden erhängt. Ihnen wird vorgeworfen, den säkularen Staat verraten zu haben. Dieser Prozess wiedererholt sich zirka alle 10 Jahre.
Aufgrund dieser Erfahrung hat Erdogan nach seinem Amtsantritt begonnen, die Armeeführung in den Staat zu integrieren und zu unterstellen. Diese Einbindung ist einer der Gründe, dass der Putsch von 2015 nicht erfolgreich ist.
Die jüngste Geschichte von Anatolien zeigt, dass der Grossteil der Bevölkerung islamisch konservativ ist und nur ein kleinerer Teil, in den grossen Städten und an der Ägäis, mehr nach westlichen Werten leben möchte.
Wie die Geschichte zeigt, liegt die Grenze zwischen Okzident und Orient irgendwo in Anatolien; manchmal ganz im Westen oder schon auf dem Balkan, oft mitten in Anatolien und über sehr kurze Zeitperioden ganz im Osten, an der Grenze zum Iran. Heute liegt die Kulturgrenze nach meinem Gefühl nahe der Ägäis-Küste im Westen.
Die wirtschaftlichen Möglichkeiten und Chancen der Türkei liegen stark in den aufstrebenden Staaten in Zentralasien und im arabischen Raum. Religion, Mentalität und Sprache passen zusammen. Auch Afrika wird gepflegt. Eine wichtige Rolle spielt auch Istanbul als Luftverkehrskreuz zwischen Asien, Europa und Asien. Überhaupt wird, wie schon früher erwähnt, die Transportinfrastruktur innerhalb des Landes forciert ausgebaut. Aus meiner Sicht ist das ein richtiger Schritt, auch wenn damit nicht alle Türken einverstanden sind. Zu wünschen wäre, dass auch einer modernen Ausbildung die gleiche Bedeutung beigemessen würde. Es braucht beide dieser Beine, um als Staat eine wirtschaftlich gute Basis zu schaffen.
Viele Bauten aus all diesen Kulturen, die in Anatolien existierten, sind zerfallen oder existieren als Ruinen. Einige wurden restauriert und sind zu Touristenhotspot geworden. Ephesos, Magnesia und Pamukkale, Kappadokien, Istanbul, … Mit dem Einkommen von den Touristen und der zunehmenden Touristenzahl ist der Staat in der Lage, andere Orte zu restaurieren. Es ist für mich eindrucksvoll, die Orte in den ursprünglichen Landschaften zu besuchen, und ich versuche gleichzeitig den historischen Hintergrund zu erforschen und zu verstehen. Es erinnert mich immer daran, dass das «Ende der Geschichte», wie es Francis Fukuyama in seinem Buch 1992 beschrieben hat, falsch war. Kulturen kommen und gehen, auch die Unsere! Samuel P. Huntigtons «Kampf der Kulturen – The Clash of Civilizations» ist näher an der Wirklichkeit!
Wenige statistische Daten zur heutigen Türkei
Fläche: 784'000 km2, im Vergleich Frankreich 644'000 km2, Deutschland 357'000 km2, Schweiz 41'000 km2
Bevölkerung: 84,6 Mio. im Vergleich Deutschland 81,4 Mio., Frankreich 65,6 Mio., Schweiz 8.7 Mio.
Erdgeschichte - Erdbebengefahr
Anatolien ist auch tektonisch speziell, denn es hat eine eigene Erdkrustenplatte, die zwischen der Afrikanischen und Eurasien-Platte liegt. Der Druck von Süden verschiebt die Anatolische Platte jährlich um einige Zentimeter (25 mm im Durchschnitt) nach Westen in die griechische Platte hinein. Entlang der Grabenbrüche gibt es periodisch Erdbeben. Aufgrund der Entwicklung der letzten 100 Jahre ist ein grösseres Erdbeben im Raum Istanbul in den nächsten Jahrzehnten fällig! Die Istanbuler sind deswegen beunruhigt. Wegen den hohen Kosten werden notwendige und teilweise auch vorgeschriebene Sanierungen hinausgeschoben.
Literaturhinweise
«Historischer Atlas der antiken Welt», der neue Pauly
«Göbekli Tepe – Die Geburt der Götter», Andrew Collins
«1177 v. Chr. Der erste Untergang der Zivilisation», Eric H. Cline
«Das Mittelmeer», David Abulafia
«Die Kreuzzüge», Thomas Asbridge
«Das osmanische Reich von 1300 – 1924», Douglas A. Howard
«Das osmanische Reich - Grundlinie der Geschichte», Josef Matuz
«Hundert Jahre Türkei», Hülya Adak und Erika Glassen
«Die Türkei verstehen von Atatürk bis Erdogan», Gerhard Schweizer
«Geschichte des Islams», Eberhard Serauky
«Türkisches Roulette»,n Dieter Sauter
und einige weitere Bücher der neuesten Geschichte. In denen ist die Geschichte meistens noch nicht verdaut. Wenn man sie 5 Jahre später nochmals liest stellt man fest, dass viele Vorhersagen nicht eintrafen.
Neueste Kommentare
20.05 | 16:23
Besser habe ich noch keine der vielen Erklärungen zur Blockchain Technologie und den Kryptowährungen berstanden als die obige! Vielen Dank - Ruedi
16.12 | 11:03
Lieber Bernhard - Hab Dank für diesen sehr Informativen Erfahrungsbericht! Vieles was Du beschreibst, deckt sich mit meiner eigenen Berufserfahrungen. Im In- sowie vor allem auch im fernen Ausland!
03.10 | 09:36
Super die Bilder und die Berichte. Wir verfolgen eure Reise mit Interesse. Einige Orte sind mir noch in bester Erinnerung.
Liebe Grüsse
Toni und Erika
02.10 | 08:00
Hallo zusammen. Wir lesen euren Blog mit viel Interesse da wir all die Orte auf unseren 4 Costa Rica 🇨🇷 Reisen kennengelernt haben. Ein wunderschönes Land mit prächtiger Natur. Gute Weiterreise. Lisbet